Welchen Einfluss hat das Geschlecht auf die Physiotherapie?

Physiotherapie ist ein wichtiger Bestandteil der medizinischen Versorgung und umfasst die Behandlung von Erkrankungen, Verletzungen und Funktionsstörungen des Bewegungsapparates. Mithilfe von Bewegungen, Massagen, Übungen und anderen therapeutischen Techniken kann den Patienten geholfen werden. In den letzten Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass das Geschlecht eines Patienten möglicherweise eine Rolle bei der Wirksamkeit und dem Verlauf der physiotherapeutischen Behandlung spielt. In diesem Artikel werden wir uns daher damit befassen, welchen Einfluss das Geschlecht auf die physiotherapeutische Behandlung hat und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.

Zunächst schauen wir uns die biologischen sowie physiologischen Unterschiede des Geschlechts an, die einen Einfluss auf die Behandlung haben könnten. Im Anschluss werfen wir einen Blick auf die sozialen und psychologischen Faktoren, die bei einem Besuch in der Physiotherapie beachtet werden sollten. Abschließend fassen wir die Erkenntnisse der Autoren der Studie Gender matters in physiotherapy (2022) zusammen.

Unterschiede im muskuloskelettalen System zwischen Männern und Frauen

Ein wichtiger Faktor, der den Einfluss des Geschlechts auf die physiotherapeutische Behandlung beeinflusst, sind die Unterschiede im muskuloskelettalen System zwischen Männern und Frauen. Männer haben im Allgemeinen eine größere Muskelmasse und eine höhere Knochendichte als Frauen, was zu Unterschieden in der Kraft und Belastbarkeit führen kann. Zudem haben Frauen eine größere Beweglichkeit in Gelenken wie Hüfte und Knie. Dies kann sich auf die Ausführung von Übungen auswirken.

Das führt unter anderem dazu, dass es Unterschiede in der Prävalenz bestimmter Erkrankungen und Verletzungen zwischen Männern und Frauen gibt. Männer sind zum Beispiel häufiger von Sportverletzungen betroffen, während Frauen häufiger unter Osteoporose und Gelenkproblemen leiden. Außerdem sind die Verhaltensweisen beider Geschlechter anders, sodass es Sportarten gibt, die eher Männer ausüben (American Football, Rugby etc.). Zu den weiblich dominanteren Sportarten gehören beispielsweise Ballett, Tanzen oder rhythmische Sportgymnastik.

Deshalb ist es in der Physiotherapie wichtig, typische Krankheitsbilder und die dazugehörigen Pathomechanismen der Geschlechter sowie der Sportarten zu kennen.

Einfluss auf die Physiotherapie durch Unterschiede in den Schmerzen und Schmerzempfindlichkeit

Ein weiterer wichtiger Faktor, der den Einfluss des Geschlechts auf die physiotherapeutische Behandlung beeinflusst, ist die Schmerzempfindlichkeit. Studien haben gezeigt, dass Frauen im Allgemeinen empfindlicher auf Schmerzen reagieren als Männer. Außerdem leiden sie häufiger unter chronischen Schmerzen. Dies kann bedeuten, dass Frauen möglicherweise eine andere Art von Schmerzmanagement benötigen als Männer. Deshalb sollte eine Behandlung in der Physiotherapie individuell angepasst sein, um ihre Schmerzen effektiv und nachhaltig zu lindern. 

Einfluss auf die Physiotherapie durch hormonelle Unterschiede

Hormone spielen eine wichtige Rolle bei der Regulierung vieler Körperfunktionen, einschließlich des Schmerzempfindens und der Muskelkraft. Männer und Frauen haben unterschiedliche Hormonwerte, wodurch sich auch die Reaktionen des Körpers auf physiotherapeutische Behandlungen unterscheiden können. Zum Beispiel haben Frauen während der Menstruation häufig eine höhere Schmerzempfindlichkeit und geringere Muskelkraft aufgrund von hormonellen Veränderungen. Dies sollte bei der physiotherapeutischen Behandlung berücksichtigt werden, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen.

Einfluss auf die Physiotherapie durch Unterschiede in den sozialen und psychologischen Faktoren

Soziale und psychologische Faktoren können ebenfalls den Einfluss des Geschlechts auf die physiotherapeutische Behandlung beeinflussen. Zum Beispiel haben Frauen häufiger Ängste und Zweifel in Bezug auf ihre körperliche Leistungsfähigkeit und sind möglicherweise eher bereit, Schmerzen zu tolerieren, um ihren therapeutischen Fortschritten zu folgen. Männer hingegen scheinen ihre Schmerzen eher zu ignorieren und sich weniger an therapeutische Empfehlungen zu halten. Diese sozialen und psychologischen Unterschiede sollten in der Physiotherapie ebenfalls Berücksichtigung finden.

Es gibt außerdem Unterschiede in den Erwartungen von Männern und Frauen in Bezug auf die Struktur der Behandlung. Einige Studien haben gezeigt, dass Männer eher an aktiven Behandlungen wie Übungen interessiert sind, während Frauen glauben, eher von passiven Techniken wie Massagen und Manuelle Therapie zu profitieren. Diese Unterschiede solltet ihr in eurer Behandlung ebenfalls beachten, um die Compliance der Patienten zu stärken und somit einen gemeinsamen Therapieplan zu erstellen.

Ausblick für die zukünftige Physiotherapie

Für die künftige Entwicklung ist die Integration des Geschlechts in die Physiotherapieausbildung von großer Relevanz. Angehende Physios sollten sich schon während der Ausbildung oder des Studiums mit dem Thema des Geschlechts in der Physiotherapie auseinandersetzen.

Wie wichtig das Geschlecht in der Physiotherapie ist, zeigt eine Studie von Öhman, Stenlund und Dahlgren (2009).

Darin wurde herausgefunden, dass sich Männer dreimal häufiger aufgrund ihres Interesses an Sport und körperlicher Betätigung für eine Physiotherapieausbildung entschieden als Frauen.

Ein weiterer Vorschlag der Autoren ist die Entwicklung eines Gender-Bewusstseins in den Bewertungen und Interventionen der klinischen Physiotherapie.

Kuhlmann und Annandale (2016) schlagen in ihrer Publikation eine Gendersensible Gesundheitsversorgung vor, die gesundheitlichen Auswirkungen von Geschlechterunterschieden in Therapieberufen hervorzuheben.

Geschlechtersensibilität in der Physiotherapie kann beispielsweise als ein Bewusstsein beschrieben werden, das sowohl Entscheidungen als auch Handlungen in der Therapie beeinflusst.

Eine geschlechtersensible Gesundheitsversorgung zielt somit darauf ab, individuelle, organisatorische und gesellschaftliche Ebenen zu verbinden. In diversen Studien werden daher Programme und „Diversity-Trainings“ vorgeschlagen, um geschlechtsspezifische Ungleichheiten zu verringern (Lindsay, Kolne und Rezai, 2020).

Fazit

Es ist wichtig zu bedenken, dass jeder Patient individuell ist und dass die physiotherapeutische Behandlung entsprechend angepasst werden sollte. Das Geschlecht eines Patienten kann jedoch eine Rolle bei der Wirksamkeit und dem Verlauf der physiotherapeutischen Behandlung spielen und sollte daher in Betracht gezogen werden. Es ist wichtig, dass Physiotherapeuten die Unterschiede im muskuloskelettalen System, in der Schmerzempfindlichkeit, in den körperlichen Aktivitäten und Verhaltensweisen, in den Hormonen sowie die sozialen und psychologischen Faktoren zwischen Männern und Frauen kennen und berücksichtigen, um die bestmöglichen Ergebnisse für jeden Patienten zu erzielen.

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