Das sensomotorische Training, auch unter Propriozeption bzw. propriozeptives Training bekannt, ist eine gut erforschte und im Praxisalltag gerne eingesetzte Trainingsform. In der Regel stellt das propriozeptive Training einen wesentlichen Bestandteil in der trainingstherapeutischen Behandlung von Bandverletzungen dar. Via sensomotorischem Training ist es Ziel der Therapie, die Propriozeption der Gelenke zu verbessern, um letztendlich die propriozeptiven Eigenschaften des Bandapparats zu schulen.
Der Begriff „Propriozeption“ wird im deutschen Sprachgebrauch häufig auch als Tiefensensibilität bezeichnet (Häflinger & Schuba, 2002). Der Wortteil „Sensibilität“ lässt schon erahnen, dass es sich bei der Propriozeption um eine Aufnahme von Reizen handelt, die als Sinneswahrnehmung verstanden werden kann. Es werden also sensorische Abläufe innerhalb des Körpers von diesem System kontrolliert.
Die Propriozeption stellt außerdem einen Unterpunkt der koordinativen Fähigkeiten dar. Die koordinativen Fähigkeiten beschreiben somit einen wichtigen Bestandteil der menschlichen Bewegung, da sie für das Erlernen und Steuern der Motorik verantwortlich sind. Nur eine gut funktionierende Koordination ermöglicht es, andere konditionelle Fähigkeiten wie Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Beweglichkeit effektiv einzusetzen (Häflinger & Schuba, 2002).
Die Propriozeptoren sind nach der Herkunft des Reizes untergliedert (proprio =eigen) und gehören der Gruppe der Mechanorezeptoren an. Zu den bekanntesten Mechanorezeptoren gehören die Ruffini und die Pacini Zellen, das Golgi-Sehnen-Organ sowie die Muskelspindeln. Während die Ersteren in dem Kapsel-Bandapparat zu finden sind, befinden sich die Muskelspindeln parallel zu den extrafusalen Muskelfasern.
Propriozeptives Training
Bei einem propriozeptiven Training werden Aufgaben gewählt, welche die Tiefensensibilität beanspruchen und somit eine positive Adaptation hervorrufen.
Da akute und chronische Gelenkschädigungen zu Veränderungen in den neuromuskulären Steuerungsprozessen führen, ist ein sensomotorisches Training bei dieser Art der Verletzung indiziert. Sei es eine traumatische Verletzung (zum Beispiel Bänderläsionen) oder eine degenerative Symptomatik (Arthrose), in beiden Fällen ist die Folge eine gestörte neuromuskuläre Gelenkstabilisation.
In Ausbildungsunterlagen und Curricula zeigt sich allerdings, dass der Fokus der Propriozeption in der Trainingstherapie vor allem auf der Rehabilitation von akuten Gelenkschädigungen liegt.
Ob bei einem Supinationstrauma oder nach einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes. Diese Pathologien stellen einen klassischen Fall für den Einsatz des sensomotorischen Trainings dar. Doch wie sieht es bei degenerativen Gelenkserkrankungen aus? Macht es auch bei der Kniearthrose Sinn, die Propriozeption zu schulen?
Dieser Frage sind Kus et al. (2022) nachgegangen und verglichen in ihrer Studie die Effekte eines sensomotorischen Trainings mit denen eines klassischen Krafttrainings im Fallbeispiel der Gonarthrose.
Propriozeption versus Kraft – Wovon profitieren Patienten mit einer Kniearthrose mehr?
In dem RCT von Kus et al. (2022) wurde die Effektivität beider Trainingsarten an 48 Probanden mit Kniearthrose untersucht. Dazu wurden die Versuchspersonen in jeweils eine Propriozeptions-(n=24) und eine Krafttrainingsgruppe (n=24) randomisiert.
Nach einer Baselinemessung führten beide Gruppen ihre Trainingseinheiten drei Mal die Woche über einen Zeitraum von acht Wochen durch.
Untersuchte Parameter war der Western Ontario and McMaster Universities Arthritis Index (WOMAC). Außerdem wurden Schmerz, Muskelkraft, Range of Motion (ROM), Quality of Life und Behandlungszufriedenheit erhoben.
Ergebnis Propriozeption versus Kraft
Anhand des WOMAC Scores konnte kein signifikanter Unterschied beider Gruppen festgestellt werden.
Nach 8 Wochen konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen festgestellt werden. Lediglich bei dem „Quality of Life“ gab es eine signifikante Verbesserung der Krafttrainingsgruppe gegenüber der Propriozeptionsgruppe.
Am Ende der Behandlung wurde festgestellt, dass das sensomotorische Training eine ähnliche Wirkung bei der Behandlung von Kniearthrose-Symptomen hatte wie das Krafttraining. Diese Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass sensomotorisches Training eine wirksame neue Methode zur Behandlung von Patienten mit Kniearthrose ist.
Somit könnt ihr als Physio- und Sporttherapeuten die Propriozeption als gute und effektive Alternative bzw. Ergänzung zu einem klassischen Krafttraining sehen. Es bedarf jedoch weiterer Forschung, um die Kombination beider Trainingsarten zu untersuchen und somit eine optimale Dosierung bestimmen zu können.
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