In der physiotherapeutischen Praxis können wir oft eine „Tape-Müdigkeit“ feststellen. Diese Tape-Müdigkeit ist allerdings nicht mit der Materialermüdung zu verwechseln, an der inflexible Tapes, wie bspw. Kinesiotape, nach kurzer Zeit leiden wenn sie unter Belastung standen und damit ihre Dehnfähigkeit verlieren, sondern vielmehr die Tape-Müdigkeit der Therapierenden.
Insbesondere nach den olympischen Spielen in Peking im Jahr 2008 gab es einen starken Anstieg bei der Verwendung von Kinesiotapes. Gefolgt wurde dieser Anstieg durch eine schier endlose Anzahl an Taping-Kursen und Taping-Weiterbildungen, kombiniert mit einem Mangel an wissenschaftlicher Grundlage. Im Verlauf der folgenden Jahre hat dieses fehlende wissenschaftliche Fundament in einer Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung von Taping in der physiotherapeutischen Praxis geführt.
Dynamic Tape und der biomechanische Ansatz
Diese Entwicklung können wir absolut nachvollziehen. Dynamic Tape und der biomechanische Taping-Ansatz auf dem es basiert, existierten ebenfalls bereits vor den olympischen Spielen 2008 in Peking. Dabei begann die Entwicklung, bzw. die Umsetzung der Idee Produkte aus Gewebe zur gezielten Belastungs- und Bewegungssteuerung zu entwickeln, schon weit vorher im Jahr 2004. Das Entwicklerteam rund um Dynamic Tape nahm darüber hinaus im Jahr 2008 mit der Vorstellung der Posture Pals an der australischen Version der „Höhle der Löwen“ namens „New Inventors“ teil und gewann sowohl bei der Jury als auch bei der Publikumsabstimmung.
Trotz der völlig unterschiedlichen Ziele, Anwendungsbereiche, Wirkungen, Eigenschaften und der wissenschaftlichen Basis von Dynamic Tape im Vergleich zu einem Kinesiotape, wird es aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs und der eingangs bereits beschriebenen Tape-Müdigkeit oft in den selben Topf wie Kinesiotape geworfen.
Die Mechanismen sowie die Philosophie des Kinesiotapings werden innerhalb der wissenschaftlichen Community jedoch oft infrage gestellt. Die Anhebung von Haut und die Anlagetechnik haben sich messbar als wenig wirksam erwiesen, was viele Personen in der evidenzbasierten Praxis weiter abschreckte.
Warum aber scheint es als würden alle Taping-Ansätze über einen Kamm geschert?
Unser Meinung nach spielt hier vor allem die Taping-Ausbildung eine große Rolle. In vielen Fällen driftete die Kinesiotape-Ausbildung in den vergangenen Jahren vor allem darauf ab, Umsatz zu generieren anstatt die klinische Praxis in den Vordergrund zu stellen. Tatsächlich hat diese Praktik letztendlich oft genau das Gegenteil bewirkt.
Eine gute klinische Praxis und Ausbildung ist anspruchsvoll und erfordert die Lehre von Problemlösungskompetenzen. Diese sind oft komplex und erfordern zunächst eine genau Anamnese, eine klare Identifikation dessen was eine Tapeanlage bewirken soll. Im Rahmen dessen müssen im Interesse der Patientinnen und Patienten alle Bereiche in die Problemlösung integriert werden. Dazu zählen vor allem die Pathphysiologie, die Schmerzphysiologie, die Biomechanik, die Funktion und natürlich auch die Leistung und Ziele der Patienten. Auf Basis dessen muss ein Ansatz entwickelt werden, der alle diese Bereiche berücksichtigt.
Komplexere Dynamic Tape-Ausbildung
Diese im Vergleich zu den meisten Kinesiotaping-Ausbildungen viel komplexere Herangehensweise im Rahmen der Applikation von Dynamic Tape tut jedoch eins nicht: Den Verkauf von Tape zu fördern. Eine anspruchsvolle Ausbildung ist keine einfach zu erntende Low-Hanging-Fruit, weshalb im oft zeitintensiven Praxisalltag am Ende doch auf Kinesiotape-Ausbildungskonzepte mit geringerem Aufwand zurückgegriffen wird und sich diese Ausbildungskonzepte auch einfacher vermarkten lassen.
Oft basieren diese Ausbildungskonzepte auf Allgemeindiagnosen, wobei die Applikationstechniken oft dem Schema F folgen: Bei Plantarfasziitis klebe man einen Streifen so und einen Streifen andersherum – Problem gelöst. Bei einem Tennisellenbogen führe man ein Streifen von hier nach da, andernfalls funktioniere es nicht – genug „Wissenschaft“ und „Regeln“, um glaubwürdig zu wirken, obwohl beispielsweise ein elastischer Strumpf ebenso effektiv für die Plantarfaszie sein könnte.
Effektives Taping sollte jedoch auf identifizierten Defiziten und nicht auf einer Diagnose basieren. Der Dynamic Tape-Ausbildungsweg lehrt nicht einfach nur das Tapen, sondern führt durch einen umfassenden klinischen Denkprozess. Dieser hilft dabei, verschiedene Faktoren zu identifizieren oder auszuschließen, wobei die strukturelle Integrität, der Einfluss von Belastung und Bewegungskontrolle auf Struktur, Funktion, Schmerz und Leistung, Schmerzmechanismen sowie periphere, zentrale und psychosoziale Einflussfaktoren berücksichtigt werden. Bei korrektem Einsatz – eine gute Ausbildung vorausgesetzt – kann Dynamic Tape eine Kraft von 15 kg oder mehr in die kinetische Kette einbringen. Wenn Therapeuten ein klares Ziel haben, was sie mit dem Tape erreichen möchten, dann lässt sich über die Schulung der Problemlösungskompetenz auch eine Anlagetechnik ableiten.
Die Anwendung von Dynamic Tape erfordert die Identifikation von Defiziten
Wichtig ist vor allem, ein Defizit und dessen Ursache zu identifizieren. Wir müssen die Beziehung zwischen dem Defizit und der Bewegung verstehen und wie das Zusammenspiel die Belastung und strukturelle Integrität beeinflusst. Daraus wiederum wird Schmerz, Bewegung und Funktion beeinträchtigt. Wir müssen begreifen, wie das Einbringen einer externen Kraft (bspw. Dynamic Tape) das Defizit ausgleichen kann und wissen wie ein Tape korrekt angebracht wird, um tatsächlich eine relevante Kraft in das System einzubringen. Dies haben wir hier beispielhaft für eine biomechanische Tapingtechnik der Achillessehne gezeigt (Klick).
Außerdem muss immer das Ziel sein, die Mechanismen zu verstehen, durch die das Tape wirkt. Schließlich müssen wir evaluieren, ob die Anwendung tatsächlich eine Kraft erzeugt hat die das Defizit auch adressiert und wie dies die zugrunde liegende Problematik sowie deren Symptome beeinflusst hat.
Fallstudie mit interessanten Ergebnissen
Es reicht also bei weitem nicht aus, nur eine Bewegung oder eine Diagnose „mit Tape zu bekleben“, ohne die tieferen Ursachen zu verstehen. Zur Veranschaulichung verweisen wir auf eine Fallstudie mit DorsaVi.
In dieser Fallstudie führte der Teilnehmer eine Sprungübung mit (in logischer Konsequenz) anschließender Landung aus, die eine erhöhte Geschwindigkeit und ein größeres Ausmaß der Bewegung in der Frontalebene der Hüfte zeigte. Viele Patienten zeigen dabei eine Unfähigkeit, Bewegung zu antizipieren oder effizient abzubremsen. Dies geht dann oft mit einem Kollaps in Hüftadduktion und Innenrotation einher, was zu einer dynamischen Valgusstellung im Knie führt.
Diese Bewegungen wurden beispielsweise mit einer erhöhten Belastung des vorderen Kreuzbandes (ACL) und einer erhöhten Kompression der Glutealsehnen im Bereich des Trochanter major in Verbindung gebracht, wobei die Kompression die Zugbelastung und die Kapazität der Kraftentwicklung verschlechtert – Schlüsselfaktoren bei der Entwicklung von Tendinopathien!
Viele würden in diesem Stadium vorschlagen die Hüfte zu tapen, um damit die Hüftadduktion und Innenrotation zu unterbinden, bzw. zu bremsen. Studien von Robinson et al. und Bittencourt et al. haben gezeigt, dass dies in unterschiedlichen Patientengruppen wirksam sein kann. Die Identifikation und Behandlung des Defizits dürfte jedoch immer bessere Ergebnisse bringen.
Der Patient in der o.g. Fallstudie hatte eine langanhaltende Kompression der Nervenwurzel L3/4 mit gleichzeitiger Schwäche des Quadrizeps. Seine Einschränkungen bestanden vor allem darin Lasten zu absorbieren und die innere Reichweite der Kniestreckung in der Sagittalebene (Leistungsebene) zu kontrollieren.
Dies führte in der Folge zu einer kompensatorischen Lastaufnahmebewegung an der Hüfte, was die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Bewegung in der Frontalebene erhöhte. Das Tapen der Hüfte verlangsamte die Bewegung dabei schon erheblich, hat jedoch das zugrunde liegende Problem der Kniekontrolle nicht gelöst.
Dynamic Tape erfordert das Taping von Defiziten anstelle des Tapings von Diagnosen
Das Tape am Knie, um das Kollabieren in die Flexion unter dem Körpergewicht zu verhindern, reduzierte sowohl das Ausmaß als auch die Geschwindigkeit der Frontalebenenbewegung an der Hüfte.
Das Taping einer Bewegung ist in jedem Fall ein Fortschritt gegenüber dem Taping von einfachen Diagnosen. Das Taping des Defizits liefert aber wahrscheinlich bessere Ergebnisse, insbesondere bei komplexeren Problemen.
Weitere Artikel
Gesundheit Physiotherapie Rehabilitation Taping
Wann du kein Kinesiologie Tape verwenden solltest
Obwohl das Tapen mit Kinesiologie Tape grundsätzlich eine positive Wirkung [...]
Physiotherapie Training
So kann man Sprunggelenksverletzungen vorbeugen
Sprunggelenksverletzungen gehören zu den häufigsten Sportverletzungen und können zu erheblichen [...]
Dynamic Tape
Sprunggelenk tapen – Dein Weg zu mehr Stabilität!
Wusstet ihr, dass das Sprunggelenk eigentlich aus zwei Gelenken besteht? [...]
Dynamic Tape Gesundheit Muskelaufbau Taping
Golfverletzungen – Die unterschätzte Gefahr
Wenn man an gefährliche und verletzungsgeprägte Sportarten denkt, taucht der [...]
Dynamic Tape Gesundheit Physiotherapie Rehabilitation Taping
Studie: Dynamic Tape reduziert Rückenschmerzen und Muskelermüdung
Wenn es ein Thema gibt, das mich in der Forschung [...]
Physiotherapie Rehabilitation Training
Aufwärmübungen – Wer sind die Non-Responder?
Aufwärmübungen sind ein essentieller Bestandteil in der Prävention von Verletzungen. [...]